100 Jahre moderne Nasenchirurgie

Teil 2: Das große Zeitalter der Medizin in Berlin
von H. Behrbohm, W. Briedigkeit und G. Reintanz

Veröffentlicht in HNO aktuell 12: 275-279 (2004)

Jakob Lewin (Jacques) Joseph wurde am 6. September 1865 in Königsberg als drittes Kind des Rabbiners Israel Joseph und dessen Frau Sara geboren. Von 1885 bis 1889 studierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin Medizin. Er schloß das Studium 1889 ab und promovierte 1890 in Leipzig.

Professor Jacques Joseph (1865-1934) hat die korrektive, rekonstruktive und ästhetische Rhinochirurgie systematisiert und in ihren Zielen und Techniken neu definiert. Er gilt als der Begründer der modernen Nasen-chirurgie und ist ein wichtiger Pionier der plastischen Gesichtschirurgie überhaupt. Am 12. Februar 2004 war sein 70. Todestag.

Karriereknick in der Klinik durch unerlaubte Otoplastik

Nach Approbation und Medizinalpraktikantenzeit ließ sich Joseph 1892 als praktischer Arzt in Berlin-Mitte nieder. Trotz gut anlaufender Praxis strebte er jedoch schon bald nach Spezialisierung. 1892 bewarb er sich erfolgreich an der Universitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie, die Professor Julius Wolff (1836-1902) leitete – ein anerkannter Chirurg, vom Berliner Volksmund „Knochenwolff“ genannt –, der als einer der Begründer der modernen Orthopädie gilt. Joseph wurde ein geachteter Mitarbeiter der Klinik und zeigte zu Wolffs Freude auch wissenschaftliches Interesse. Diese Sympathie fand ein jähes Ende, als Joseph ohne Information und Erlaubnis Wolffs einem zehnjährigen Jungen zu große und abstehende Ohrmuscheln („Eselsohren“) operativ korrigierte. Der Patient hatte bis dahin schwer unter dem Spott seiner Umwelt gelitten. Dieser erste plastische Eingriff Josephs verlief erfolgreich. Dennoch entließ Professor Wolff Jacques Joseph mit der Begründung, dieser habe eine an seiner Klinik unerprobte und noch dazu „kosmetische“ Operation ohne sein Einverständnis durchgeführt. Josephs vierjährige Tätigkeit an Wolffs renommierter Klinik – vielleicht der Beginn einer Hochschulkarriere – war damit 1896 beendet. Er ging in die private Niederlassung zurück. Es ist nicht überliefert, ob es irgendwann zu einer Annäherung oder Versöhnung zwischen Wolff und Joseph kam. Wolffs bekannter ehrenhafter Charakter hätte dem sicher nicht im Wege gestanden, Josephs ostpreußische Dickschädeligkeit schon eher. Wolff starb 1902. Beide ruhen auf dem selben Friedhof – etwa einen Kilometer voneinander entfernt.

Vor 100 Jahren: Erste intranasale Septorhinoplastik

1898 führte Joseph in eigener Praxis die erste Nasenverkleinerungsplastik über einen äußeren Zugang aus. 1904, also vor genau 100 Jahren, berichtete er zum ersten Mal über die simultane intra-nasale Korrektur einer Höckernase mit Korrektur des vorderen Septums. Diesen Zugang baute Joseph in den folgenden Jahren systematisch für weitere Indikationen aus. Intranasale Operationstechniken galten damals als unübersichtlich, unchirurgisch und stark infektionsgefährdet.
Am Beginn des 1. Weltkrieges hatte Jacques Joseph bei Fachkollegen wie bei medizinischen Laien den verdienten Ruf des prominentesten deutschen Gesichtschirurgen.

I. Weltkrieg:
Zahl der Operationen steigt ins Extreme

Der Krieg brachte für Jacques Joseph, den Stabsarzt der Reserve, neue Herausforderungen. Die moderne Kriegführung führte zu Verletzungen in einer Häufigkeit und Schwere, wie sie bis dahin unvorstellbar waren. Joseph mußte – Not und patriotischem Pflichtgefühl gehorchend – Anzahl und Umfang seiner Operationen ins Extreme steigern. Da er auch auf dem Gebiet der Wiederherstellungschirurgie außerordentlich erfolgreich arbeitete und spektakuläre Ergebnisse erzielte, wurde auch der „Oberste Kriegsherr“ Wilhelm II. auf ihn aufmerksam bzw. aufmerksam gemacht.

Abbildungen 2a-c (v.l.n.r.):
a: Junger Soldat mit totalem Nasendefekt.
b: Schnittführung auf der Stirn bei der Nasenersatzplastik (frontale Methode nach Joseph)
c: Nach der “chirurgischen Modellierung und Knocheneinführung” aus: J. Joseph: Nasenplastik und sonstige Gesichtsplastik, C. Kabitzsch, Leipzig 1931.
1915 bot der Kaiser persönlich dem nicht habilitierten Joseph eine Professur für plastische Chirurgie an der Charité an – allerdings unter der Bedingung, daß dieser zum Christentum übertritt. Joseph lehnte ab. Wollte der oberste Kriegsherr sein Gewissen beruhigen, wenn er vorhatte, den zum Teil grauenhaft entstellten Soldaten den „besten Gesichtschirurgen der Welt“ in exponierter Stellung zu offerieren? Wahrscheinlich war Wilhelm II. aber von solchen Skrupeln und Sentimentalitäten frei.
Joseph arbeitete weiter, erkannte aber bald, daß mit der Fortdauer des Krieges die Häufigkeit von Patienten mit schwersten Gesichtsverletzungen allein aus Berlin die Kapazität seiner Praxis überstieg.

Leiter der Abteilung für plastische Gesichtschirurgie

Dies erkannten auch andere, und so wurde am 2. Juni 1916 an der von Adolf Passow (1859-1926) geführten Ohren- und Nasenklinik der Charité eine Abteilung für plastische Gesichtschirurgie eröffnet. Das preußische Ministerium für geistliche und Unterrichtsangelegenheiten beauftragte J. Joseph mit der Leitung. „Remuneration“ hatte er dafür jedoch nicht zu erwarten! 1919 wurde er zum Professor ernannt – diesmal nicht mehr vom Kaiser und ohne für ihn unannehmbare Bedingungen. Außerdem erhielt er das Eiserne Kreuz.
Mit Hilfe von regionalen oder Stirn- und Oberarm-Lappenplastiken einerseits und freien Knorpel- und Knochentransplantaten andererseits gelang ihm auch in Fällen ausgedehnter Verletzungen die Rekonstruktion des Gesichtes.

Ab 1922 wieder in eigener Praxis:
Vielfältige plastisch-chirurgische Tätigkeit

Nachdem die Abteilung für Gesichtsplastik 1922 von der Heeresleitung nicht mehr getragen wurde, ließ sich Joseph wieder in eigener Praxis nieder und widmete sich zunehmend der korrektiven und ästhetischen Chirurgie. Schwerpunkte waren jetzt Nasen- und „Hängewangen“-Plastiken ebenso wie Mammaplastiken. Hospitanten in seiner Praxis waren in diesen Jahren u.a. Gustave Aufricht, der später nach New York ging und wesentlich zur Verbreitung der Josephschen Verfahren in den USA beitrug, und der US-Amerikaner Joseph Safian. Letzterer berichtet, daß von einer Plattform am Fußende des Operationstisches bis zu sechs in- und ausländische Ärzte gegen ein angemessenes Salär den Eingriffen zuschauen durften. Erklärungen und Kommentare zum operativen Vorgehen wurden nicht gegeben, Fragen während der Operation hatte sich Joseph verbeten (Es wurden Privatpatienten in Lokalanästhesie operiert!). Das Ganze soll eher entmutigend als anregend und lehrreich gewesen sein.

Abbildung 3: Prof. Jacques Joseph bei der Demonstration einer Rhinoplastik 1921 im Kreise interessierter Ärzte (aus: P. Natvig: Jacques Joseph – Surgical Sculptor. W. B. Saunders, Philadelphia 1982).
1 Dr. George Kelemen
2 Chirurg aus Deutschland
3 Chirurg aus Deutschland
4 Dr. Martin Bab
5 Chirurg aus Brasilien
6 Chirurg aus Brasilien
7 Chirurg aus Brasilien
8 Dr. Louis E. Wolfson
9 Dr. Boenninghaus aus Breslau
10 Dr. Ernst Wodak
11 Professor Joseph
12 Krankenschwester
13 Krankenschwester
14 Patient
Jacques Joseph hat – so schildern es J. Safian und der Joseph-Biograf Paul Natvig – auf Außenstehende einen mürrisch-abweisenden, wenig „kordialen“ Eindruck gemacht. Die, die ihm näher standen, schätzten seine Herzenswärme und seinen Humor. Hinter einer rauen Schale verbarg sich ein tief empfindender, von einem klassischen Schönheitsideal faszinierter Mann, der als Arzt seinen unglücklichen entstellten Patienten aufrichtig zugetan war. Kriegsverletzte aus dem I. Weltkrieg, die von Joseph operiert worden waren, blieben ihm zeitlebens verbunden, wofür es aus den Familien der Verletzten noch in den zurückliegenden siebziger und achtziger Jahren anrührende Belege gibt. Die letzte, 1990 noch lebende OP-Schwester aus Josephs Klinik schilderte ihren äußert resoluten Chef als einen anziehenden, ausgesprochen schönen Mann und hielt die Josephschen OP-Schwestern für die seinerzeit bestbezahlten in Berlin.
Bereits zu Lebzeiten eine Legende:
Nasen-Joseph oder „Noseph“

Joseph war als Nasen-Joseph oder „Noseph“ bereits zu Lebzeiten eine Legende. Durch den „rasenden Reporter“ Egon Erwin Kisch wissen wir etwas über den Josephschen Praxisalltag im Jahre 1922 aus der Wartezimmerperspektive: „... empfing Herr Professor Joseph in seinem Ordinationszimmer am Kurfürstendamm die an Eitelkeit kranken Menschen. Jeden fragte er, was er sei, ob er reich sei und aus welchem Valutabezirk er komme, und dann, erst dann, fragt er ihn nach seiner Wesensart... und er muß die Wesensart kennen, denn danach stellt er die Nase her. ‚Wünschen Sie eine kecke Nase, oder eine intelligente, ein kokkote oder eine energische?’.... der Herr Professor reicht ihm eine Album mit Hunderten von Photographien ehemaliger Patienten, vor der Operation und danach. Sie blättern im Album und wählen ein Näschen, das sie haben möchten. ‚Gut’, sagt der Herr Professor und packt sie an der Nase. Er verdreht sie mit der Hand und den Fingern und zeigt Ihnen, wie Sie später aussehen werden. ‚Kommen Sie morgen früh um zehn in meine Privatklinik, Bülowstraße 10’”.

Abbildung 4a: Einige – heute noch erhaltene – Operationsinstrumente von Jacques Joseph. Sie wurden zum Teil nach genauen Vorgaben angefertigt und sind mit der Gravur „Prof. Joseph“ gekennzeichnet. (Sammlung von Prof. R. Stellmach)
Ein begnadeter Operateur
mit künstlerischem Formgefühl

Joseph war ein begnadeter Operateur, der neben exzellentem chirurgischem Können über jenes künst-lerische Formgefühl verfügte, das Erich Lexer (1867-1937) von jedem forderte, der kosmetische Operationen ausführen will. Nach übernommenen oder ideenreich selbst ersonnenen und zielstrebig vervollkommneten Verfahren operierte er mit sicherer Hand in schonender Weise. Jeder Defekt oder Formfehler wurde präoperativ gründlich analysiert, jeder Operationsschritt sorgfältig geplant, nichts wollte er der Intuition während der Operation überlassen wissen. Er hat die schwierigste Form der Nasenplastik, die Nasenersatzplastik, in einer Weise beherrscht und gefördert, daß seine Methoden hinsichtlich der äußeren Form kaum übertroffen werden können, wie Hugo Ganzer – selbst hocherfahren – 1943 betonte.

Abbildung 5: Aufnahme während eines rhinoplastischen Präparierkurses im anatomischen Institut der Charité 1922. Von links nach rechts sitzend: Prof. Joseph, Prof. Kopsch, unbekannter spanischer Chirurg; stehend: Dr. Jacques Maliniac, Dr. Gustave Aufricht, Dr. Zoltán Nagel.
Hauptwerk: „Nasenplastik und sonstige
Gesichtsplastik nebst Mammaplastik“

In seinem Hauptwerk „Nasenplastik und sonstige Gesichtsplastik nebst Mammaplastik“ sowie in mehr als 30 Publikationen und Handbuchbeiträgen hat Joseph die korrektive, rekonstruktive und ästhetische Rhino- und Gesichtschirurgie systematisiert und in ihren Zielen und Techniken neu definiert. Er hat die intranasalen Techniken der Rhinoplastik etabliert, sah die duale Aufgabe der Rhinochirurgie in Funktions- und Formverbesserung und die ästhetische Chirurgie als ärztliche Aufgabe. Jacques Joseph ist der Begründer der modernen Rhinoplastik und einer der wichtigsten Pioniere der plastischen Gesichtschirurgie.

Abbildungen 6a-c (v.l.n.r.):
6a: Patientin mit „hängendem Septum mittleren Grades“.
6b: Nach doppelseitiger Segmentresektion (totaler Verkürzung mit Höckerabtragung).
6c: OP-Plan der Nasenverkleinerung nach Joseph. Resektionsschema und Zustand nach der Resektion (oben: Septumansicht, unten: Seitenwandansicht)
Von den Nationalsozialisten mißachtet und gegängelt

Als die Nationalsozialisten 1933 die politische Macht in Deutschland übernommen hatten, erkannten nur wenige, welche Katastrophe heraufzog. Für jüdische Deutsche und Andersdenkende begann diese sofort. Joseph hatte – wie viele andere auch – die herandrängende braune Gefahr nicht ernst genommen. Höchster Anerkennung und Wertschätzung war – fast über Nacht – tiefste offizielle Mißachtung gefolgt. Die Stenotypistin, die er zur Fertigstellung seines Lehrbuches angestellt hatte und die in seinem Haus wohnte, bespitzelte und erpreßte ihn im Auftrag der Gestapo. Joseph durfte nur noch wenige plastische Eingriffe nach entwürdigenden „Sondergenehmigungsverfahren“ durchführen. Durch den zügellosen, gewalttätigen Antisemitismus wurde für Joseph die Ausübung der ärztlichen Praxis immer schwieriger.

Starb 1934 am Myokardinfarkt

Die Emigration war wohl ins Auge gefaßt, als Jacques Joseph am 12. Februar 1934 in Berlin-Wilmersdorf verstarb. Er erlitt auf dem Weg zur Arbeit noch im Flur seines Hauses einen tödlichen Myokardinfarkt. Sein Hausarzt Dr. Berliner stellte den Totenschein aus. In seiner Belegklinik schickte seine langjährige OP-Schwester Grete die Patienten weg: „Dr. Joseph kommt heute nicht.“ Die Familie zeigte bereits am folgenden Tag in der „Vossischen Zeitung“ und dem „Berliner Tageblatt“ an, daß Prof. Dr. med. Jacques Joseph, Facharzt für Nasen- und Gesichtsplastik, im 69. Lebensjahr an Herzschwäche verschieden sei. Die inzwischen gleichgeschaltete deutsche medizinische Fachpresse nahm von Josephs Tod keine Notiz mehr. Nachrufe erschienen nur in ausländischen Fachblättern. Ein gewaltsamer Tod, der mehrfach vermutet wurde [6], erscheint sowohl auf Grund von Text und Termin der Todesanzeigen wie auch der standesamtlichen Eintragung selbst [19] weitgehend ausgeschlossen, ebenso ein Gift-Suizid, den Stürzbecher unter Hinweis auf wiederholte starke Mißhandlungen, denen Joseph nachweislich durch Nazi-Schergen ausgesetzt war, für möglich hielt [18].

Abbildung 7: Den beharrlichen Bemühungen von Prof. Briedigkeit ist es zu verdanken, daß das verloren geglaubte Grab von Jacques Joseph wiedergefunden wurde. Prof. Briedigkeit an der Fundstelle auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.
Abbildung 8: Der beschädigte Grabstein nach seiner Freilegung.
Beigesetzt auf dem Jüdischen Friedhof
in Berlin-Weissensee

Jacques Joseph wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee beigesetzt. Sein Grab wurde während eines Bombenangriffs im 2. Weltkrieg zerstört und galt seitdem als nicht mehr identifizierbar. Einem von uns (W. Briedigkeit) gelang es nach beharrlichen Recherchen, den zum Teil verschütteten und überwachsenen Grabstein Josephs im August 2003 wiederzufinden. Der Stein aus schwarzem Granit ist geborgen, identifiziert und die ehemalige Inschrift entschlüsselt. Grabstelle und Grabstein werden gegenwärtig rekonstruiert.
Josephs Ehefrau Leonore, mit der ihn seit 1892 eine sehr glückliche, auch seinen ärztlichen und wissenschaftlichen Ambitionen förderliche Ehe verband, konnte Berlin verlassen und verstarb 1968 hochbetagt in den USA [17].

Literatur beim Verfasser.

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. H. Behrbohm
Abt. für HNO-Heilkunde,
plastische Operationen
Park-Klinik Weissensee
Schönstraße 80, 13086 Berlin